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Redaktion: Heinz Schmitz


Risikowahrnehmung durch Medien begrenzt

Ob die Menschen ein Risiko über- oder unterschätzten, hängt nicht davon ab, ob es sich um eine dramatische oder eine undramatische Ursache handelt. (Quelle: Peggy und Marco Lachmann-Anke/Pixabay)

Ob die Menschen ein Risiko über- oder unterschätzten, hängt nicht davon ab, ob es sich um eine dramatische oder eine undramatische Ursache handelt. (Quelle: Peggy und Marco Lachmann-Anke/Pixabay)

 

Jahrzehntelang ging die Forschung davon aus, dass Menschen das Risiko überschätzen, wegen einer dramatischen Todesursache wie etwa einem Verkehrsunfall zu sterben. Als Grund galt, dass die Medien über solche Todesfälle deutlich mehr berichten als über größere, aber als unspektakulär geltende Mortalitätsrisiken. Eine Studie der Technischen Universität München (TUM) hat nun diese Annahme widerlegt. Zwar sind dramatische Todesursachen in den Nachrichten tatsächlich überrepräsentiert. Wichtiger für die Risikobewertung sind jedoch Todesfälle im persönlichen Umfeld.

 

Verkehrsunfälle, Brände, Morde – dramatische Todesfälle bekommen in den Nachrichten große Aufmerksamkeit. Die Wissenschaft war bislang der Überzeugung: Weil die Medien über solche Sterbeursachen öfter berichten als über „stille“ Gründe wie Herzinfarkte oder Diabetes, schätzen viele Menschen die jeweiligen Häufigkeiten falsch ein. In der Fachliteratur wurde dies sogar als einer der beständigsten Befunde der Forschung zur Risikowahrnehmung bezeichnet.

 

Dabei geht die Annahme letztlich auf nur eine Studie zurück. 1978 fragte ein Team um Sarah Lichtenstein vom Oregon Research Institute Probandinnen und Probanden, wie groß sie die Zahl der jährlichen Sterbefälle für rund 40 Todesursachen einschätzen. Die Studie verglich diese Annahmen nicht nur mit den realen Fallzahlen. Sie untersuchte auch, wie stark die Todesursachen in den Nachrichten repräsentiert waren und dort von den Probandinnen und Probanden wahrgenommen wurden.

 

Im Laufe seiner Forschung zu Risikowahrnehmung stellte Thorsten Pachur, Professor für Behavioral Research Methods an der TUM, überrascht fest: Weder waren die Schlussfolgerungen durch statistische Analysen untermauert, noch waren sie in weiteren Studien bestätigt worden. Pachur wertete deshalb die Daten der damaligen Studie erneut aus. Außerdem zog er die beiden Studien hinzu, die seitdem (mit seiner Beteiligung) ebenfalls sowohl Risikowahrnehmungen als auch die klassische Medienberichterstattung mit ähnlichen Listen an Sterbeursachen untersucht hatten. Auch diese wertete er mit derselben Methode neu aus.

 

Ergebnisse einflussreicher Studie ließen sich nicht wiederholen

Thorsten Pachurs Studie belegt: Dramatische Todesursachen wurden in den Nachrichten in der Tat öfter thematisiert als es ihrer tatsächlichen Häufigkeit entspricht. Unspektakuläre Todesursachen waren unterrepräsentiert. Die herrschenden Annahmen zur Risikowahrnehmung der Menschen werden dagegen durch Pachurs Analysen infrage gestellt. Zwar bestätigt die Auswertung, dass die Probandinnen und Probanden der Studie von 1978 spektakulär wirkende Risiken falsch einschätzten. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch mit den Daten der jüngeren Studien nicht wiederholen. Ergebnisse eines Forschungsexperiments gelten aber nur dann als gesichert, wenn sie replizierbar sind.

 

Die Auswertung der beiden jüngeren Studien zeigt vielmehr: Ob die Menschen ein Risiko über- oder unterschätzten, hing nicht davon ab, ob es sich um eine dramatische oder eine undramatische Todesursache handelte. Dieses Fazit ergibt sich auch dann, wenn man die Daten aller drei Studien aggregiert auswertet. Und auch als Pachur weitere Studien einbezog, die Einschätzungen von Sterberisiken abgefragt hatten (nicht aber die Medienberichterstattung), bestätigte sich das Ergebnis. „Die Erkenntnisse stellen nicht grundsätzlich infrage, dass Medien Einfluss auf die Wahrnehmung von Risiken haben können“, betont Pachur. „Aber wir sollten aufhören zu glauben, dass eine Verzerrung in der Berichterstattung notwendigerweise zu einer Verzerrung in der Risikowahrnehmung führt.“

 

Todesfälle im persönlichen Umfeld spielen größere Rolle

Pachur fand zudem eine andere Erklärung für die Auffassungen der Menschen. Denn einige der analysierten Studien hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch nach ihrem sozialen Umfeld gefragt. Die neue Auswertung zeigt nun: Die Zahl der Todesfälle, die die Menschen persönlich kannten, hatte einen deutlich stärkeren Einfluss darauf, wie groß das Risiko für die jeweilige Todesursache eingeschätzt wurde, als die Medien. „Eine wichtige Erkenntnis ist, dass wir den Verzerrungen der Berichterstattung nicht hilflos ausgeliefert sind“, sagt Pachur. „Die Menschen sind offenbar durchaus in der Lage, reflektiert mit den Nachrichten umzugehen und andere Quellen in ihr Urteil einzubeziehen.“

 

Originalbeitrag:

Pachur, T. (2024). The perception of dramatic risks: Biased media, but unbiased minds. Cognition, Volume 246. DOI: 10.1016/j.cognition.2024.105736

https://doi.org/10.1016/j.cognition.2024.105736

 

Siehe auch:

https://www.msl.mgt.tum.de/brm/startseite/

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