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Redaktion: Heinz Schmitz


Molekül-Selfie enthüllt den Aufbruch einer chemischen Bindung

Molekül-Selfie
Schematische Darstellung des Aufbruchs einer molekularen Bindung in Acetylen (C2H2). (Grafik: ICFO/Scixel.)

Man stelle sich vor, die einzelnen Atome eines Moleküls ließen sich während einer chemischen Reaktion beobachten: Wie sie sich umlagern, um eine neue Substanz zu bilden oder wie Bausteine der DNS sich bewegen und vervielfältigt werden. Diese Fähigkeit würde bisher unerreichte Einsichten bieten, um diese Prozesse besser zu verstehen und möglicherweise zu kontrollieren. Die simple Idee, den Aufbruch oder die Umwandlung von Molekülen während einer chemischen Reaktion zu beobachten, war bisher unerreichbar, denn sie setzt voraus, alle Atome, die das Molekül bilden, zu verfolgen – und dies mit subatomarer räumlicher Auflösung innerhalb weniger Femtosekunden (= ein Millionstel einer Milliardstel Sekunde). Daher klangen derartige „Schnappschüsse“ einer molekularen Reaktion mit der erforderlichen Präzision wie Science Fiction. Vor nunmehr genau 20 Jahren wurde die Idee geboren, die Elektronen des Moleküls selbst zu nutzen, um seine Struktur abzubilden: Man bringe dem Molekül bei – wie wir heute sagen würden – ein „Selfie“ von sich zu machen!

 

In einer jetzt bei Science publizierten Studie konnten Wissenschaftler des Institute of Photonic Sciences (ICFO) in Barcelona und des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) sowie weiterer Institutionen aus Deutschland, den Niederlanden; Dänemark und den USA einen entscheidenden Durchbruch vermelden. Dem Team gelang die Abbildung des Aufbruchs einer chemischen Bindung in Acetylen (C2H2) innerhalb von 9 Femtosekunden nachdem das Molekül ionisiert wurde. Die Forscher verfolgten sämtliche Atome in einem einzelnen Acetylen-Molekül mit einer räumlichen Präzision von nur 0,05 Ångström (deutlich weniger als ein Atomdurchmesser) mit einer zeitlichen Präzision von 0,6 Femtosekunden. Dabei konnten sie den Aufbruch einer bestimmten einzelnen Bindung des Moleküls auslösen und beobachten, wie ein Proton das Molekül verlässt. Nachdem gezeigt wurde, dass die die erforderliche räumliche und zeitliche Auflösung erreicht wurde, um Schnappschüsse der molekularen Dynamik zu erhalten, möchte die Gruppe um Jens Biegert am ICFO diese als nächstes auf andere Moleküle wie Katalysatoren oder biologisch relevante Systeme anwenden.

 

Das Team in Barcelona entwickelte eine weltweit führende ultraschnelle Laserquelle für den mittleren Infrarot-Bereich und kombinierte diese mit einem Reaktionsmikroskop. Dieses erlaubt eine kinematisch vollständige Erfassung der dreidimensionalen Impulsverteilung der freigesetzten Elektronen und Ionen in Koinzidenz, d. h. es werden alle geladenen Bruchstücke des Moleküls gleichzeitig nachgewiesen und der Reaktion zugeordnet. Entwickelt und gebaut wurde das Reaktionsmikroskop am MPIK in der Gruppe um Robert Moshammer in der Abteilung von Thomas Pfeifer. Hier wurde diese Art der Impulsspektroskopie, die auf Joachim Ullrich (vormals MPIK, seit 2012 Präsident der Physikalisch Technische Bundesanstalt) zurückgeht, seit Jahren erfolgreich zur Untersuchung zeitaufgelöster Moleküldynamik in starken Laserfeldern eingesetzt. Im Experiment am ICFO wird zunächst ein einzelnes Acetylen-Molekül mit einem kurzen Laserpuls räumlich ausgerichtet und dann mit einem zweiten ausreichend starken Laserpuls ionisiert. Das freigesetzte Elektron wird vom Laserfeld wieder zum Ursprungs-Molekül zurückgetrieben, wobei es an diesem streut – alles innerhalb von 9 Femtosekunden. Aufgrund seiner quantenmechanischen Welleneigenschaft bildet das Elektron bei diesem Streuprozess das gesamte Molekül ab und erlaubt so eine Rekonstruktion von dessen Struktur.

 

Mittels einer geschickten Analyse der Daten konnten die Physiker ferner zeigen, dass die Orientierung des Moleküls relativ zur Richtung des elektrischen Feldes des Lasers ganz grundlegend die Dynamik der Reaktion ändert. Bei paralleler Ausrichtung wurde eine Vibration des Moleküls entlang der Feldrichtung beobachtet während bei senkrechter Ausrichtung eine der C–H-Bindungen aufbrach. In dem Experiment wurde der Aufbruch der Bindung erstmals visualisiert und beobachtet, wie das Protons das Acetylen-Ion verlässt.

 

Originalveröffentlichung:

Ultrafast electron diffraction imaging of bond breaking in di-ionized acetylene B. Wolter et al. Science 354, 308 (2016)

 

Siehe auch:

http://science.sciencemag.org/content/354/6310/308

https://www.mpi-hd.mpg.de/mpi/de/pfeifer/pfeifer-division-home

 

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