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Redaktion: Heinz Schmitz
Yin und Yang der modernen Festkörperphysik
Mit unseren Sinnen nehmen wir von einem Körper vor allem seine Oberfläche wahr: Sie bestimmt, wie der Körper aussieht und wie er sich anfühlt. Die Oberfläche ist untrennbar von dem Inneren, das sie umschließt; sie bestimmt Form und Gestalt eines Körpers, seine „Topologie“. Trotz dieser unmittelbaren Korrespondenz sind in der Welt der Physik Oberfläche und Volumen grundlegend unterschiedliche Dinge, was sich zum Beispiel in den physikalischen Eigenschaften zeigt. Besonders im Fall der topologischen Isolatoren wird dies deutlich.
Topologische Isolatoren repräsentieren eine neuartige exotische Materialklasse, die derzeit die physikalische Fachwelt in Atem hält. Grund hierfür sind die ungewöhnlichen elektronischen Eigenschaften der Oberflächen dieser Materialien, die in ihrem Inneren eigentlich Isolatoren sind. Einem Team unter der Leitung von Dr. Hendrik Bentmann am Lehrstuhl für Experimentelle Physik VII an der Universität Würzburg ist es nun gelungen, durch spektroskopische Experimente einen außergewöhnlich detaillierten Einblick in das Wechselspiel zwischen Oberfläche und Volumen in diesen topologischen Isolatoren zu gewinnen. Ihre Ergebnisse, die auf einer internationalen Kooperation mit Forschern von der Ludwig- Maximilians-Universität München und den Universitäten Chiba und Hiroshima in Japan beruhen, stellen die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Physical Review Letters“ vor.
„In topologischen Isolatoren ist die Bewegungsrichtung der Elektronen entlang der Oberfläche mit der Orientierung ihres Spins verknüpft“, erklärt Hendrik Bentmann. Hieraus resultieren neben neuartigen physikalischen Effekten prinzipiell auch interessante Anwendungsmöglichkeiten für leistungsfähigere elektronische Bauelemente. „Die elektronischen Eigenschaften von Oberfläche und Volumen eines topologischen Isolators spiegeln einander wider – sie korrespondieren – und sind doch völlig unterschiedlich“, schildert Bentmann die besonderen Eigenschaften dieser Materialklasse. Im elektrischen Transport – dort, wo Elektronen wandern – sind die jeweiligen Beiträge von Oberfläche und Volumen jedoch oft nicht einfach auseinanderzuhalten.
Der Arbeitsgruppe von Hendrik Bentmann und Professor Friedrich Reinert, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Physik VII, ist dies jetzt gelungen. Für ihre Untersuchungen nutzten die Wissenschaftler die sogenannte Photoelektronenspektroskopie, die es erlaubt, elektronische Eigenschaften von Festkörpern sehr direkt zu vermessen. Ihre Messungen haben sie an dem topologischen Isolator Antimontellurid vorgenommen, einem Vertreter der sogenannten V2VI3-Verbindungen.
Mit Hilfe von Präzisionsmessungen mit höchster Auflösung konnten die Wissenschaftler Details der spektralen Signaturen von Oberfläche und Volumen voneinander trennen. Unterstützt wurden die experimentellen Resultate durch theoretische Simulationen der Kooperationspartner von der LMU. „Unsere Experimente zeigen unter anderem, dass sowohl die Geschwindigkeit, mit sich der sich die Elektronen entlang der Oberfläche bewegen, als auch ihre Streueigenschaften durch Wechselwirkung mit dem Volumen verändert werden können“ erklärt Bentmann. Die neuen Erkenntnisse liefern einen wichtigen Beitrag zum grundlegenden Verständnis der Oberflächenelektronen in topologischen Isolatoren.
Originalpublikation:
Connection of a topological surface state with the bulk continuum in Sb2Te3(0001), Christoph Seibel, Hendrik Bentmann, Jürgen Braun, Jan Minár, Henriette Maaß, Kazuyuki Sakamoto, Masashi Arita, Kenya Shimada, Hubert Ebert, and Friedrich Reinert, Phys. Rev. Lett. 114, 066802 (2015). DOI: 10.1103/PhysRevLett.114.066802