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Redaktion: Heinz Schmitz


Spirale des Verlusts individueller Privatheit

Gefangen in sozialen Netzen
Gefangen in sozialen Netzen sorgen sich die Nutzer um den mangelnden Einfluss auf die über sie produzierten Daten und haben ein Bedürfnis nach Privatheit. (Quelle: hiz)

Auf die Schnelle noch ein paar Schuhe im Internet bestellt, dann ein wenig schmeichelhaftes Foto mit Freunden vom Vorabend gepostet und beim Joggen mit dem Smartphone die eigenen Fitness-Parameter aufgezeichnet. Weitgehend ohne es zu merken hinterlassen die meisten von uns tagtäglich viele digitale Spuren – nicht nur mit der Kredit- oder der Bonuspunktekarte. Immer mehr Daten werden automatisiert erzeugt und verarbeitet. Ganz zu schweigen von den Überwachungspraktiken der NSA und anderer Geheimdienste.

 

Für den Einzelnen ist es unter den Bedingungen von Big Data kaum noch möglich, die individuelle Privatheit effektiv kontrollieren zu können. „Selbst ein bewusster Umgang mit digitaler Technologie und Social Media hilft hier kaum weiter, weil viele Rückschlüsse auf der Grundlage von Daten gezogen werden können, über deren Erzeugung das Individuum praktisch keine Kontrolle hat“, sagt Dr. Andreas Mühlichen, der eine Dissertation zum Thema „Privatheit im Zeitalter vernetzter Systeme“ am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn geschrieben hat. Immer effektivere Automatisierungen könnten letztlich zu einer Spirale des Verlusts individueller Privatheit führen.

 

Wo bleibt im Zeitalter von „Big Data“ die Privatsphäre? Spielt das Bedürfnis nach Privatheit heutzutage überhaupt noch eine Rolle? Diesen und weiteren Fragen ging der Soziologe nach. Mühlichen befragte Studierende an der Bonner Alma mater über ihre Einschätzungen zur Bedeutung der Privatsphäre, zur Sensibilität von Informationen und zur Nutzung von Sozialen Medien und anderen Internetangeboten. 1555 Befragte gaben dazu in verwertbarer Form Auskunft. Ihr Durchschnittsalter betrug 22 Jahre, 56 Prozent waren Frauen.

 

Umfrage zeigt, dass es ein Bedürfnis nach Privatheit gibt

Aus der Umfrage lässt sich ein „Bedürfnis nach Privatheit“ nachweisen, das bei verschiedenen Personen unterschiedlich ausdifferenziert ist. Allerdings zeigte sich auch, dass ein solches Bedürfnis nicht notwendigerweise eine Selbstbeschränkung der Nutzung solcher digitalen Dienste zufolge haben muss.

 

Wie es zu diesem Widerspruch zwischen dem Anspruch auf Privatheit und dem praktizierten digitalen Verhalten kommen kann, dafür hat Mühlichen drei Erklärungen parat: Erstens die „Kontrollüberzeugung“. Der Nutzer traut sich demzufolge zu, dass er selbst Kontrolle über seine Privatheit im Netz ausüben kann, obwohl dies schier unmöglich ist. Als zweites gibt es den Weg der Resignation: Es herrscht das Gefühl vor, dass nichts gegen einen drohenden Verlust von Privatheit unternommen werden kann. Ein drittes Erklärungsmuster bezieht sich auf die Teilhabe: Ein Verzicht auf digitale Präsenz erscheint unmöglich, weil die Angst zu groß ist, von sozialen Netzwerken ausgeschlossen zu sein.

 

„Aus der studentischen Population sind bis zu einem gewissen Grad Projektionen auf die Gesamtgesellschaft möglich, es handelt sich aber nicht um eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage“, schränkt Mühlichen ein. Zumindest aber die theoretischen Überlegungen können auf die gesamte deutsche Gegenwartsgesellschaft übertragen werden.

 

Ergebnisse zeigen Handlungsfelder für die Politik auf

Die Ergebnisse haben dem Soziologen zufolge insbesondere auch politische Implikationen: „Individuelle Privatheit hat in einer Demokratie eine wesentliche Funktion, weil sie aus meiner Perspektive als integraler Bestandteil von Freiheit gedacht werden muss.“ So sei es relativ einfach, die Verantwortung für den Verlust von Privatheit auf mangelnde Medienkompetenz zu schieben und Nutzern vorzuhalten, dass sie ihre Privatheit selbst unterwandern, indem sie Daten generieren. „Die Arbeit zeigt aber deutlich, dass diese Vorstellung an verschiedenen Punkten unzutreffend ist“, sagt Mühlichen mit Blick auf den mangelnden Einfluss der Nutzer auf die über ihn produzierten Daten und das in der Studie empirisch nachgewiesene Bedürfnis nach Privatheit. Deshalb müsse dieses Ziel gesellschaftlich angestrebt und von der Politik als wichtige Instanz vermittelt werden.

 

Das Thema der Arbeit von Dr. Andreas Mühlichen sei hochaktuell, sagt Prof. Dr. Jörg Blasius, Betreuer der Dissertation. „In der Verbindung von theoretischen Überlegungen und empirischer Umsetzung leistet der Verfasser einen sehr wichtigen Beitrag zur Bearbeitung eines Themas, welches schon jetzt - und nicht nur für die Sozialwissenschaften - von sehr großer gesellschaftlicher Bedeutung ist.“ Mit der rasant zunehmenden technologischen Entwicklung und den Möglichkeiten, welche diese bieten, werde es immer weniger Privatheit im Zeitalter der vernetzten Systeme geben.

 

Originalveröffentlichung:

Andreas Mühlichen: Privatheit im Zeitalter vernetzter Systeme – Eine empirische Studie, Bonner Reihe der Empirischen Sozialforschung, Band 2, Verlag Barbara Budrich, Opladen, 281 Seiten, 36 Euro

 

Siehe auch:

https://www.politik-soziologie.uni-bonn.de/de/

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