Nachrichten, Gerüchte, Meldungen und Berichte aus der IT-Szene
Redaktion: Heinz Schmitz
Medikamententransport per multifunktionalem Mikroschwimmer
Der von einem Bakterium angetriebene Mikroschwimmer quetscht sich durch eine 2 µm kleine Lücke (Quelle: MPI IS)
Forscher der Abteilung für Physische Intelligenz am Max- Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart haben einen multifunktionalen Mikroschwimmer entwickelt, der aus zwei Teilen mit jeweils einzigartigen Eigenschaften besteht: Sie kombinieren ein Bakterium, einen der effizientesten in der Natur vorkommenden Schwimmer, mit einem roten Blutkörperchen (RBC), einem natürlichen Transportmittel innerhalb des menschlichen Körpers. Erythrozyten haben außergewöhnliche Fähigkeiten. Sie haben eine hohe Tragkraft und können sich leicht verformen; sie können sich durch schmale, halb so große Kapillaren quetschen. Das war der Grund, warum die Forscher rote Blutkörperchen auswählten, als sie an einem Mikroschwimmer forschten, der das Kriterium hohe Tragkraft und Flexibilität erfüllen sollte. Denn kombiniert mit der Antriebsdynamik von Bakterien – dem Motor des Mikroschwimmers – ist es ihm möglich, Ladung selbst durch enge Kanäle oder Lücken zu transportieren.
Die Ladung haben die Forscher in das rote Blutkörperchen eingekapselt: zum einen das Krebsmedikament Doxorubicin sowie Eisen-Nanopartikel, damit die Wissenschaftler den Mikroschwimmer magnetisch steuern können. Am Zielort angekommen, zum Beispiel bei einer Krebszelle, greift die saure Umgebung des Tumors die Membran des roten Blutkörperchens an, macht sie brüchig, so dass das Krebsmedikament entweichen kann. Die geladenen Krebsmedikamente werden sozusagen vor der Haustüre der Krebszelle abgeliefert. Ist diese Aufgabe erfüllt, können die Forscher den Mikroschwimmer zerstören, indem sie ihn mittels Infrarotlicht so aufheizen, dass er sich zersetzt. Wie das funktioniert, dazu unten mehr.
„Drei Dinge zeichnen diesen Mikroschwimmer aus", sagt Oncay Yasa, der zusammen mit Yunus Alapan den Mikroschwimmer erfunden hat. „Erstens ist seine Verformbarkeit beeindruckend: Der Mikroschwimmer kann sich durch enge Lücken von nur zwei Mikrometern quetschen, während er selbst etwa sechs Mikrometer groß ist."
„Zweitens ist die Verbindung zwischen dem Bakterium, dem Motor und dem roten Blutkörperchen, dem Frachtraum, sehr stark, da wir eine sehr kraftvolle Wechselwirkung in der Natur ausnutzen", fügt Oncay Yasa hinzu. „Wir verwenden das Protein Avidin, das als Karabinerhaken fungiert: Es verbindet sich auf einer Seite mit Biotin, das aus der Membran des Bakteriums herausragt, und auf der anderen Seite dockt es an die Antikörper (Anti-TER-119) an, die das rote Blutkörperchen bedecken. Auf diese Weise gibt es keine starre chemische Reaktion beim Verbinden des Bakteriums mit dem roten Blutkörperchen. Vielmehr ist es eher ein bewegliches Karabinerhakensystem, das die beiden Teile verbindet – mit Avidin in der Mitte. Das macht den Mikroschwimmer robuster und flexibler als andere."
„Drittens", fährt Yunus Alapan fort, „haben wir die roten Blutkörperchen mit speziellen Molekülen beladen, die Infrarotlicht absorbieren können. Wenn wir Infrarotlicht von außen anschalten, erwärmt sich das rote Blutkörperchen, zerstört sich selbst und das angekoppelte Bakterium. Das löst das Problem, was tun, wenn die Medikamente abgeliefert wurden. Wir müssen das Bakterium sofort vernichten, um seine unkontrollierte Vermehrung zu verhindern. Wir wollen vermeiden, dass sich der Körper mit einer Immunreaktion verteidigt."
Eines Tages wollen die Forscher ihre Erfindung in einem Verdauungstrakt oder im Magen testen, aktuell aber begnügen sie sich mit Versuchen unter dem Mikroskop. „Biohybride Mikroschwimmer bieten aufgrund ihrer ungebundenen Lenkbarkeit, hohen Nutzlast, Verformbarkeit und der Möglichkeit der Zerstörung ein großes Potenzial für zukünftige nicht- invasive medizinische Eingriffe – etwas, das wir "Terminierungsschalter" nennen“, sagt Oncay Yasa. „Der von uns entwickelte Mikroschwimmer weist eine einzigartige Multifunktionalität auf, die bei anderen bakterienangetriebenen Mikroschwimmern bisher nicht beobachtet wurde", ergänzt Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, der zusammen mit Alapan und Yasa an der Studie gearbeitet hat. „Die vorgestellten RBC-Mikroschwimmer sind ein großer Schritt hin zum eventuellen Einsatz weicher Biohybrid- Mikroschwimmer in klinischen Anwendungen, obwohl es noch Herausforderungen wie die Immunabwehr des Körpers zu überwinden gilt. „Unser RBC- Mikroschwimmer dient als Blaupause für die nächste Generation multimodaler, zielgerichteter Frachtliefersysteme," sagt Alapan abschließend.