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Redaktion: Heinz Schmitz


Keine Chance für falsche Töne

Der Gutachter spult ein weiteres Mal zurück. Ist der Refrain des Liedes nun ein Plagiat oder nicht? Er kneift die Augen zusammen. Äußerste Konzentration – der Musikexperte drückt noch einmal den Startknopf, prägt sich Melodien und Töne ein. Jetzt ist er sich sicher: Der vermeintliche Komponist hat nicht nur die Melodie, sondern ganze Teile des Originalsongs abgekupfert. »In so einem Fall herrscht bei uns Stille«, sagt Christian Dittmar vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT in Ilmenau. Die von ihm entwickelte Software erkennt Musikplagiate automatisch und löscht geklaute Liedbausteine heraus: „Bei besonders dreisten Tondieben bleibt im Extremfall bis auf die letzte Tonspur nichts mehr vom Musikstück übrig.“ Der »PlagiarismAnalyzer« des IDMT spürt gleiche Melodien und Samples – komplette Bestandteil eines Songs – in wenigen Sekunden auf. Mathematische Algorithmen ermitteln dafür das Tonspektrum von Kopie und Original und vergleichen es miteinander.

 

Vor Patrick Aichroth malen zwei Audioaufnahmen ihre charakteristische Wellenform auf den Computerbildschirm. Ein optisches Signal zeigt verdächtige Positionen im Material an. Auch Dittmars Kollege ist auf der Spur von manipulierten Aufnahmen. Bei ihm geht es jedoch nicht um Musik, sondern um Audiodateien ganz generell – zum Beispiel Sprachmitschnitte von Smartphones. Er und sein Team nutzen verschiedene Techniken, um Manipulationen zu identifizieren: zum Beispiel die elektrische Netzspannung (Electrical Network Frequency, kurz ENF), die Mikrofonklassifizierung und den inversen Decoder.

 

»Bearbeitungsschritte wie Schnitte, En- oder Dekodierung hinterlassen Spuren in den Audiodateien. Diese lassen sich an einer veränderten ENF, dem Wechsel des eingesetzten Mikrofons oder über den inversen Decoder aufspüren«, erklärt Aichroth. Letzteren hat das IDMT auf Basis von Forschungsergebnissen des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen entwickelt. Der Decoder zeigt an, mit welchem Format und welchen Parametern die Originaldatei ursprünglich kodiert war – zum Beispiel mit dem mp3-Format, das die Audiospur komprimiert.

 

Gutachter von Plagiatsprozessen können von den neuen Technologien aus Ilmenau profitieren, aber auch Redakteure, Ermittler oder Archivare. Die Datenflut von Audioinhalten im Internet und in Unternehmen nimmt stetig zu. »Heute muss man kein Tontechniker sein, um Audioinhalte zu produzieren. Smartphones sind inzwischen so verbreitet, dass zu wichtigen Ereignissen immer öfter Tonmitschnitte existieren, die wichtige Informationen liefern können. Mit steigender Menge wächst die Gefahr von Manipulationen und für eine manuelle Prüfung fehlt fast immer die Zeit«, sagt Aichroth.

 

Er beschreibt zwei Situationen, bei denen das automatische Prüfen von Audiomaterial helfen kann: Großraumbüro in einer deutschen Redaktion. Die Journalisten bekommen kurz vor Redaktionsschluss brisantes Audiomaterial in die Hand. Das gäbe der Titelstory eine neue Tonalität. Entscheidende Frage: Sind die Aufnahmen authentisch? Oder folgende Szene: Der Polizei liegen mehrere Handymitschnitte vor, die den Hauptver- dächtigen schwer belasten. Auch hier brauchen die Beamten eine schnelle erste Einschätzung:

 

Die Ilmenauer Wissenschaftler haben ihre Software während des Projekts REWIND (http://www.rewindproject.eu/) entwickelt, das von der Europäischen Union gefördert wird. Das IDMT arbeitet hier mit Universitäten aus Italien, Großbritannien, Spanien und Brasilien zusammen. »Wir wollen sowohl die Grundlagen verstehen, als auch Technologien ent- wickeln, aus denen praktische Tools entstehen können. Wir bündeln die Stärken aller bisher entwickelten Technologien, um auch größere Datenmengen schnell analysieren zu können«, so Dittmar. Aktuell dauert es circa 5 Sekunden, bis eine 10-sekündige Originalsequenz in einem 30-sekündigen Musikstück aufgespürt wird.

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