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Redaktion: Heinz Schmitz
Herr Bose brachte Herrn Einstein auf eine Idee
Der junge indische Physiker Satyendranath Bose (1894-1974) hatte Einstein eine neue Berechnungsstrategie für die Quantenstatistik von Photonen zugesandt. Einstein war beeindruckt von Boses Idee und entdeckte darin sogar eine neue Theorie für ununterscheidbare Partikel. Damit sagte er die Existenz des Bose-Einstein-Kondensats bei sehr geringen Temperaturen voraus. Experimentell nachweisen ließ sich das zu der Zeit nicht, denn die Theorie bezog sich nur auf den einfachsten Fall am absoluten Temperaturnullpunkt (Null Kelvin, also ca. -273 Grad Celsius) und ohne Interaktion der Partikel. Das ist eine Idealisierung, die nicht realistisch ist. Wolfgang König vom Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik (WAS) erzählt: „Einstein hat die Theorie nie exakt ausgeführt. Mathematiker griffen die Idee immer mal wieder auf, aber es fehlten Grundlagen für eine mathematische Theorie.“ Bis es schließlich einer Gruppe von Physikern im Jahre 1995 gelang, das Bose-Einstein-Kondensat experimentell nachzuweisen. „Es war ein regelrechter Forschungskrimi, mehrere Gruppen lieferten sich einen Wettlauf. Die Physiker erreichten eine Temperatur von 10–9 Kelvin, das ist ein Milliardstel Grad vom absoluten Nullpunkt entfernt“, berichtet König. Vorher hatte eine Gruppe 10–6 Kelvin geschafft – das hat zwar nicht für das Bose-Einstein-Kondensat gereicht, aber schon allein für das Realisieren dieser eisigen Temperatur gab es den Nobelpreis.
Die Erzeugung des Bose-Einstein-Kondensats gab auch Mathematikern wieder einen Anstoß, sich mit dem Problem zu befassen. Komplizierter als bei Einstein ist die Mathematik dahinter vor allem dadurch, dass die Interaktionen der Teilchen untereinander nicht vernachlässigt werden können. Die experimentelle Realisierung rief sowohl Analytiker als auch Stochastiker auf den Plan. In einer Publikation aus dem Jahr 2011 beschrieb Wolfgang König gemeinsam mit Kollegen ein System, in dem die Teilchen sich zu vielen Schlingen zusammenschließen, die durch Brown’sche Bewegungen dargestellt werden. Die Schlingen gibt es dabei nicht wirklich. Sie dienen nur der Veranschaulichung. „So stelle ich mir meine Formeln vor. Das ist das Bild, mit dessen Hilfe ich versuche, Mathematik zu machen“, sagt der Mathematiker. Wenn es keine Bose-Einstein-Kondensation gibt, entstehen nur kleine Schlingen mit jeweils wenigen Partikeln. Diese Schlingen sind klar voneinander getrennt, es gibt ein Riesengewusel, und nur nahe beieinander liegende Partikel interagieren miteinander. Dieses System charakterisierten die Mathematiker 2011 vollständig. Allerdings beschreibt es nur die Situation bei recht hohen Temperaturen, weit entfernt von jenen, bei denen man die Existenz von Bose-Einstein-Kondensation vermutet.
Bis zu einer bestimmten Sättigungsdichte funktioniert diese Theorie. Wenn die Partikeldichte allerdings größer wird, kann das System nicht mehr alle Partikel in kurzen Schlingen halten, dann packt es einige von ihnen in lange Schlingen. So tritt ein makroskopischer Anteil der Partikel miteinander in eine langreichweitige Beziehung. „Es gibt dann nicht nur kleine Schlingen, sondern ein beträchtlicher Anteil der Partikel, vielleicht ein paar Prozent, bildet auch große Schlingen“, erklärt König. Das Bose-Einstein-Kondensat sind die Partikel in den langen Schlingen. Für deren Beschreibung fehlten bislang die mathematischen Mittel. Wolfgang Königs Ansatz basiert darauf, das Bose-Einstein-Kondensat mithilfe Brown‘scher Interlacements zu beschreiben.
Seit etwa zehn Jahren untersuchen Stochastiker die sogenannten Brownian Interlacements, ein spezielles Konstrukt aus Brown‘schen Bewegungen. „Wir stellen jetzt den Zusammenhang zwischen den Brownian Interlacements und den langen Schlingen her. Ich bin mir sicher, dass wir die langen Schlingen damit charakterisieren können“, betont Wolfgang König. Und er ist auch sehr optimistisch, dass die langen Schlingen das Bose-Einstein- Kondensat physikalisch korrekt beschreiben. „Hundert Prozent sicher sein können wir uns aber nicht, und das ist auch nicht mein Fach“, so König.
„Aber wir haben zumindest einen wunderschönen Phasenübergang vor Augen. Vermutlich ist es der gesuchte, aber wenn nicht, haben wir immerhin eine neue mathematische Theorie entwickelt, deren Relevanz sich sicher noch erweisen wird.“ Auf diese Weise hofft Wolfgang König, die neuesten Fortschritte der Stochastik für die Beschreibung eines fundamentalen physikalischen Effekts einsetzen zu können. Drücken wir ihm die Daumen, dass er zumindest das Schlingen-Kondensat in den Griff bekommt!
Simulation der Messungen des Experiments von 1995: Im Bose-Einstein- Kondensat wuseln die Atome nicht völlig unabhängig voneinander umher, sondern die Viel-Partikel-Wellenfunktion, die sämtliche physikalischen Eigenschaften wie Ort und Geschwindigkeit beschreibt, lässt sich zurückführen auf eine einzige Ein-Partikel-Wellenfunktion. Die einzelnen Atome des Kondensats folgen derselben Statistik.