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Redaktion: Heinz Schmitz


Gehüpft wie gesprungen!

Unser Alltag hängt mehr denn je von einer sicheren und zuverlässigen Versorgung mit elektrischer Energie ab. Die voranschreitende Energiewende stellt dabei Stromerzeuger und Stromnetzbetreiber vor neue Herausforderungen. Um zusätzliche erneuerbare Energieerzeuger in das Stromnetz zu integrieren wird oftmals vorgeschlagen, das Netz in kleine autonome Zellen aufzuteilen, sogenannte „Microgrids“. Damit könnte beispielsweise eine Gemeinde mit einem Blockheizkraftwerk und ihrer eigenen Wind- und Photovoltaik-Erzeugung weitestgehend energieautonom operieren. Aber wie wirken sich die Aufteilung in kleine Zellen und zusätzliche erneuerbare Erzeuger auf das Stromnetz aus? Um diese Frage zu beantworten haben Benjamin Schäfer und Marc Timme, Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) sowie an der Technischen Universität Dresden, zusammen mit Kollegen in Jülich, London und Tokio die Schwankungen der Netzfrequenz in Stromnetzen in verschiedenen Regionen der Welt analysiert und mit Hilfe mathematischer Modelle Vorhersagen über mögliche Anfälligkeiten und Ursachen erstellt.

 

Wie groß sind die Schwankungen im Netz durch erneuerbare Energien?

Unser Stromnetz in Deutschland und in ganz Europa funktioniert mit einer Netzfrequenz von 50 Hertz. Diese Frequenz wird meist mittels Turbinen erzeugt (zum Beispiel in Wasser- und Kohlekraftwerken), die mit 50 Umdrehungen pro Sekunde rotieren. Entzieht ein Verbraucher dem Stromnetz nun mehr elektrische Energie, beispielsweise weil ein Aluminiumwerk den Betrieb aufnimmt, so sinkt die Netzfrequenz leicht ab, bevor eine gesteigerte Energieeinspeisung die vorherige Frequenz wiederherstellt. Die Abweichungen von dem Sollwert 50 Hertz dürfen niemals zu groß werden, da sonst empfindliche elektrische Geräte beschädigt werden können.

 

Aber auch erneuerbare Energieerzeuger verursachen Schwankungen der Netzfrequenz, da der Wind nicht immer mit der gleichen Stärke weht oder Wolken für eine ständig schwankende Einspeisung durch Photovoltaikanlagen sorgen. Die Frage, der das internationale Forscherteam nachgegangen ist: Beeinflussen die erneuerbaren Energien die Netzfrequenz und damit die Versorgungssicherheit so dramatisch wie oftmals behauptet wird? Und wie wahrscheinlich sind gefährliche Abweichungen von der Sollfrequenz eigentlich?

 

Zwei Überraschungen in einer Analyse

Um eine Antwort zu finden, haben die Forscher zunächst Messungen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Finnland, Mallorca, Japan und den USA zusammengetragen. Dabei ist zu beachten, dass Deutschland nicht isoliert Strom erzeugt und verbraucht, sondern über das europäische Verbundsystem Strom mit den meisten Ländern Kontinentaleuropas und darüber hinaus austauscht. Ebenso ist Finnland Teil des Nordischen Verbunds, während die USA in mehrere Regionen aufgeteilt sind und Messungen der „Eastern Interconnection“ verwendet wurden, dem größten Verbund, der auch Teile Kanadas umfasst.

 

Eine systematische Analyse der Daten offenbarte gleich zwei Überraschungen für die Wissenschaftler vom Göttinger MPIDS. Erstens zeigt das europäische Netz alle 15 Minuten besonders starke Schwankungen. Dies ist genau der Zeitraum in dem sich Erzeuger auf dem Strommarkt in Europa auf eine neue Verteilung für die Erzeugung einigen und sich damit auch ändert, wo wie viel Strom in das Netz eingespeist wird. Damit wurde nachgewiesen, dass mindestens in Europa der Stromhandel einen wesentlichen Beitrag zu den Schwankungen der Netzfrequenz liefert.

 

Zweitens folgen die statistischen Schwankungen des Netzes um den Sollwert von 50 Hertz nicht einer Gauß-Verteilung; stattdessen sind extreme Schwankungen viel wahrscheinlicher als nach Gauß vorhergesagt. Um die Beobachtungen besser erklären zu können und die Planung eines zukünftigen, vollständig von erneuerbaren Energieerzeugern unterstützten Stromnetzes durchzuspielen, formulierten die Forscher ein mathematisches Modell für die Fluktuationen im Stromnetz. Mit Hilfe dieses Modells berechneten sie die erwarteten Schwankungen je nach Netzgröße und schätzen ab, wie sehr die Störungen von erneuerbaren Energien abhängen.

 

Frequenzschwankungen in kleinen Stromnetzen stärker als in großen?

In der Untersuchung zeigen kleinere Netze, insbesondere das von Mallorca, aber auch das britische Stromnetz stärkere Schwankungen als die größeren Netze, beispielsweise das Netz in Kontinentaleuropa. „Unsere Studie weist darauf hin, dass eine Aufteilung eines großen und damit sehr trägen Netzes, wie des kontinentaleuropäischen Netzes, in viele kleine Netze (Microgrids) zu größeren Frequenzschwankungen in diesen kleinen Netzen führt als es in dem gemeinsamen europäischen Verbundnetz der Fall ist.

 

Technisch sind Microgrids daher nur eine Option, wenn die heutigen sehr strikten Frequenz-Standards aufgeweicht würden.“, sagt Benjamin Schäfer vom MPIDS, Erstautor der Studie. Für eine abschließende Empfehlung sammeln die Forscher zusätzliche Daten, unter anderem in Irland und Island, und planen Experimente in Microgrids.

 

Ein Vergleich der Regionen zeigt, dass größere Schwankungen in der Frequenz in Netzen mit einem größeren Anteil an erneuerbaren Energien auftreten. So ist beispielsweise der Anteil der Wind- und Solarerzeugung in Großbritannien um ein vielfaches höher und auch die Schwankungen der Netzfrequenz sind deutlich größer als in den USA. Um trotzdem den Anteil der erneuerbaren Energie zu erhöhen, empfehlen die Forscher eine verstärkte Investition in sogenannte Primärregelung und Demand Control, d.h. eine intelligente Anpassung der Erzeuger und Verbraucher an die Frequenz.

 

„Interessanterweise erscheinen die durch Stromhandel hervorgerufenen Frequenzschwankungen im Netz bedeutender als solche aufgrund der Einspeisung erneuerbarer Energien“, fasst Prof. Marc Timme vom MPIDS die Studie zusammen.

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