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Redaktion: Heinz Schmitz


Fliegende Inventur-Helfer

„Liebe Kunden, wegen Inventurarbeiten ist unser Geschäft heute geschlossen.“ Wer vor diesem oder einem ähnlich lautenden Schild steht weiß, dass er sich mit seinen Besorgungen etwas gedulden muss, während im Hintergrund viele Mitarbeiter mit Zählen beschäftigt sind. Die manuelle Kontrolle des Warenlagers ist elementarer Bestandteil der gesetzlich vorgeschriebenen Jahresinventur. Das klassische Verfahren ist zeitaufwändig und bringt einen Großteil des Lagerbetriebs zum Erliegen. Daran ändern selbst die heute eingesetzten Barcodes und RFID-Chips wenig. Der gesamte Vorgang beansprucht nach wie vor eine Menge an Personal und Zeit.

 

Die Probleme, mit denen Betriebe bei der Inventur zu kämpfen haben, sind Marco Freund bestens bekannt. Der Diplom-Logistiker leitet das Projekt InventAIRy am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund. Seine Vision einer optimierten Inventur sieht so aus: „Der Verantwortliche sitzt an seinem Schreibtisch, er drückt auf einen Knopf und kann ohne weiteren personellen oder logistischen Aufwand die Bestände prüfen oder aber einen bestimmten Artikel suchen“. Um dies in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden zu lassen, entwickeln Freund und seine Kollegen ein „dynamisch bewegtes Erfassungssystem“, das sich in einem ganz entscheidenden Punkt von aktuell gebräuchlichen Lösungen unterscheidet: „Waren und Paletten können heutzutage bereits automatisch erfasst werden, etwa via Funk: Dabei sind die Antennen, die die Chips auslesen, in der Regel fest installiert. Die Chips befinden sich an den Produkten und werden erfasst, wenn sie das Auslesegerät passieren. Bei InventAIRy ist dies umgekehrt. Die Funkchips bleiben an ihrer Position, die Antenne ist durch die Integration in einen Flugroboter in Bewegung.“ Die Inventur- Helfer, die den Wissenschaftlern vorschweben, sind autonome Roboter, die sich fliegend durch die Hallen bewegen.

 

Was bei fahrerlosen Transportsystemen bereits Realität ist, soll sich mit InventAIRy in die Lüfte erheben: Mit dem Projekt verfolgen die IML- Forscher das Ziel, autonome Flugroboter zu entwickeln, die in der Lage sind, eigenständig zu navigieren und Inventuren durchzuführen. Die fliegenden Assistenten sollen Objekte sowohl in Lagerhallen als auch im Außenbereich lokalisieren und über Barcodes oder RFID-Chips erfassen können. Der Vorteil: Die Roboter agieren unabhängig von Hindernissen am Boden. Sie können sich außerdem in alle Richtungen bewegen und auch schwer erreichbare Stellen, etwa in Hochregallagern, einsehen.

 

Der einzelne Service-Roboter nimmt als intelligentes mobiles Objekt seine Umgebung dynamisch auf zwei Ebenen wahr: Er erkennt unter anderem mit Hilfe von Bewegungs- und Kamerasensoren wie das Lager aufgebaut ist und kann sich innerhalb eines Lagers orientieren. GPS bestimmt seine Position im Außenbereich. Zudem erfasst der Roboter die gelagerten Objekte inhaltlich. Dies bewerkstelligen die Wissenschaftler mit Hilfe von optischen Sensoren oder Funksensoren. „Wir nehmen verschiedene zentrale Problemstellungen zugleich in den Blick: robust designte, leichte Flugroboter, die ihre Umgebung zuverlässig erkennen sowie intelligente Software zu ihrer Routenplanung und Koordination“, erläutert der Diplom- Logistiker. „Damit die Lösung auch für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv ist, verzichten wir bewusst auf die Installation einer teuren lokalen Infrastruktur, mit der sich die Roboter orientieren können“. Die Forscher wollen dies mit Hilfe intelligenter Algorithmen schaffen. Die Flugobjekte sollen völlig autonom Karten der Lagerhallen erstellen und diese bei Veränderungen eigenständig anpassen. Basis hierfür sind beispielsweise Ultraschallsensoren, 3D-Kameras sowie Laserscanner.

 

Aktuelle Lösungen können automatisch erhobene Inventurdaten nicht ohne zusätzliche Softwareentwicklung in bestehende Lagerverwaltungssysteme integrieren. Die InventAIRy-Forscher arbeiten hingegen an smarten Schnittstellen, welche die Informationen nahtlos in bestehende Systeme übermitteln. Damit sparen Handelsbetriebe viel Zeit und Geld – auch Dokumentationsfehler gehen zurück. Hinzu kommt, dass die Flugroboter Lagerbestände kontinuierlich überwachen könnten. „Auf diese Weise wäre es in der Produktion möglich, Materialengpässe frühzeitig zu erkennen und zu beseitigen, noch bevor es zu Ausfällen kommt“, so Projektleiter Freund.

 

Die Zwischenergebnisse des Teams sind vielversprechend. „Bereits Mitte 2015 wollen wir einen teilautomatischen Flug starten. Bei diesem verharrt der mit Identifikationstechnologie ausgestattete Roboter – ohne dass er über eine Fernbedienung gesteuert wird – an einer Position und verhindert Kollisionen mit Hindernissen wie etwa Regalen“, erklärt der Projektleiter.

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