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Redaktion: Heinz Schmitz
Systematischer Betrug bei Publikationen in der Mathematik aufgedeckt

Logo der Internationalen Mathematischen Union (IMU)mathunion.org)
Ein internationales Autorenteam um Ilka Agricola, Professorin für Mathematik an der Universität Marburg, hat im Auftrag der DMV und der Internationalen Mathematischen Union (IMU) betrügerische Praktiken bei der Publikation von Forschungsergebnissen in der Mathematik untersucht und dabei systematischen Betrug über Jahre hinweg dokumentiert. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich auf dem Preprintserver arxive.org und in den Notices der American Mathematical Society (AMS) publiziert und sorgen seitdem unter Mathematikern für Aufregung. Um das Problem zu lösen werden im Kontext der Studie auch Empfehlungen für die Publikation von Forschungsergebnissen in der Mathematik gegeben.
Heutzutage wird Forschungsqualität oft nicht mehr direkt über den Inhalt von Veröffentlichungen, sondern vermehrt über kommerzielle Kennzahlen wie der Anzahl der Publikationen / Zitaten von Autoren oder der „Reputation“ (impact factor) von Journalen gemessen. Diese Kennzahlen werden auf intransparente Weise und ohne Beteiligung der Wissenschaft von kommerziellen Anbietern berechnet, die damit weltweit den Verkauf ihrer Datenbanken stärken. Betrügerische Unternehmen bieten gezielt ihre Dienste an, um diese Kennzahlen zu optimieren. Dies lohnt sich sowohl für einzelne als auch für Institutionen, denn eine höhere Platzierung z.B. in einem Universitätsranking bedeutet besseren Zugang zu Fördergeldern und (im internationalen Kontext) die Möglichkeit, höhere Studiengebühren zu verlangen und mehr Anmeldezahlen. Als Kollateralschaden entsteht ein hoher Prozentsatz von Veröffentlichungen, deren einziger Daseinszweck darin besteht, die Kennzahlen in die Höhe zu treiben, die aber keiner liest, weil sie keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse enthalten oder gar fehlerhaft sind.
Die Studie benennt einige krasse Beispiele. So berechnete z.B. der Marktführer für Kennzahlen Clarivate Inc. aufgrund seiner Datenbank im Jahr 2019, dass die Universität mit den meisten Weltklasseforschern in Mathematik eine Universität in Taiwan ist - an der Mathematik gar nicht als Studienfach angeboten wird. Megajournale, die alles drucken, sofern die Autoren dafür bezahlen, publizieren mittlerweile pro Jahr mehr Artikel, als alle seriösen Mathematik-Journale (bei denen man nicht bezahlen muss) zusammen. Betrüger bieten anonym gegen Bezahlung von Artikeln bis Zitaten alles zum Kauf an, was Einfluss auf die Kennzahlen hat.
“ ‘Fake Science‘ ist nicht nur lästig, sondern eine Gefahr für Wissenschaft und Gesellschaft”, betont IMU Generalsekretär Prof. Christoph Sorger. “Denn man weiß nicht, was gilt und was nicht. Gezielte Desinformation untergräbt das Vertrauen in die Wissenschaft und macht es auch uns Mathematikern schwer zu entscheiden, welche Ergebnisse als Basis für weitere Forschung verwendet werden können“. DMV-Präsident Prof. Jürg Kramer ergänzte: „Die von der Kommission erarbeiteten Empfehlungen sind ein Aufruf an uns alle, uns für einen Systemwechsel einzusetzen.“
Originalbeitrag:
https://arxiv.org/pdf/2509.07257
https://arxiv.org/abs/2509.09877