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Redaktion: Heinz Schmitz
Bestes Bild des "Hundeknochen-Asteroiden"
Der „Hundeknochen-Asteroid“ Kleopatra aus verschiedenen Blickwinkeln (Quelle: ESO/Vernazza, Marchis et al./MISTRAL algorithm (ONERA/CNRS))
Mit Hilfe des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) hat ein Team von Astronomen die bisher schärfsten und detailliertesten Bilder des Asteroiden Kleopatra aufgenommen. Dank dieser Beobachtungen konnte das Team die Form und die Masse dieses eigenartigen Asteroiden, der einem Hundeknochen ähnelt, mit größerer Genauigkeit als je zuvor zu bestimmen. Ihre Forschungen geben Aufschluss darüber, wie dieser Asteroid und die beiden ihn umkreisenden Monde entstanden sind. "Kleopatra ist in unserem Sonnensystem wirklich ein einzigartiges Objekt", sagt Franck Marchis, Astronom am SETI Institute in Mountain View, USA, und am Laboratoire d'Astrophysique de Marseille, Frankreich. Marchis ist Leiter der Studie über den Asteroiden mit der ungewöhnlichen Form (und Monden), die heute in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde. "Untersuchungen von seltsamen Außenseitern führen regelmäßig zu gehörigen wissenschaftlichen Fortschritten. So dürfte das auch bei Kleopatra sein. Wenn wir dieses komplexe Asteroidensystems besser verstehen, können wir eine Menge über unser Sonnensystem lernen."
Kleopatra umkreist die Sonne im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Radarbeobachtungen vor rund 20 Jahren gaben Hinweise darauf, dass der Asteroid wie ein Hundeknochen geformt ist, mit verdickten Enden und einem dünneren Verbindungsstück. Im Jahre 2008 entdeckten Marchis und seine Kollegen, dass Kleopatra von zwei Monden umkreist wird, die nach den Kindern der ägyptischen Königin AlexHelios und CleoSelene benannt wurden.
Um mehr über Kleopatra herauszufinden, nutzten Marchis und sein Team Schnappschüsse des Asteroiden, die zwischen 2017 und 2019 mit dem Instrument SPHERE (Spectro-Polarimetric High-contrast Exoplanet REsearch) am VLT der ESO aufgenommen wurden. Da der Asteroid rotiert, sieht man ihn in den Bildern aus verschiedenen Blickwinkeln. Mit diesen Daten gelang dem Team die bislang genaueste Modellierung der dreidimensionalen Form des Asteroiden, sowie die genaueste bisherige Bestimmung des Volumen des Asteroiden. Insgesamt ist der "Knochen" rund 270 Kilometer lang, was etwa der Hälfte der Länge des Ärmelkanals entspricht. Eine der Verdickungen am Ende des "Knochens" ist dabei größer als die andere.
In einer zweiten Studie, die ebenfalls in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde und von Miroslav Brož von der Karlsuniversität in Prag (Tschechische Republik) geleitet wird, berichtet das Team, wie es die SPHERE-Beobachtungen nutzte, um die Umlaufbahnen der beiden Monde von Kleopatra zu ermitteln. Frühere Studien hatten bereits versucht, diese Bahnen abschätzen. Aber den neuen Beobachtungen mit dem VLT der ESO nach waren die Monde nicht dort anzutreffen, wo sie jenen älteren Bahnschätzungen nach hätten sein sollen.
"Diese Diskrepanz mussten wir auflösen", sagt Brož. "Denn wenn die Umlaufbahnen der Monde falsch waren, war alles falsch, auch die Masse von Kleopatra." Dank der neuen Beobachtungen und einer ausgefeilten Modellierung gelang es dem Team, genau zu beschreiben, wie Kleopatras Schwerkraft die Bewegungen der Monde beeinflusst, und die komplexen Bahnen von AlexHelios und CleoSelene zu bestimmen. Das erlaubte die Berechnung der Masse des Asteroiden. Der neue Wert liegt 35% unter den früheren Schätzungen.
Aus den neuen Werten für Volumen und Masse konnten die Astronomen einen neuen Wert für die Dichte des Asteroiden berechnen, die mit weniger als der Hälfte der Dichte von Eisen geringer ist als bisher angenommen. Die niedrige Dichte von Kleopatra, von dem man annimmt, dass er eine metallische Zusammensetzung hat, deutet auf eine poröse Struktur hin. Kleopatra dürfte eine Art loser "Trümmerhaufen" sein. Wahrscheinlich bildete er sich, als Material nach einem gigantischen Einschlag wieder zusammenfand.
Die Trümmerstruktur von Kleopatra und die Art, wie der Körper rotiert, geben Hinweise darauf, wie sich die beiden Monde gebildet haben könnten. Der Asteroid rotiert fast mit der sogenannten kritischen Geschwindigkeit. Das ist die Geschwindigkeit, ab der die Materie, aus der er besteht, aufgrund der raschen Drehbewegung auseinanderfliegen würde. Unter diesen Bedingungen können selbst kleinere Einschläge einiges an Material von seiner Oberfläche lösen. Marchis und sein Team glauben, dass sich aus solchem Material anschließend AlexHelios und CleoSelene gebildet haben könnten. Kleopatra hätte ihre Monde also tatsächlich selbst geboren.
Die neuen Bilder von Kleopatra und die Erkenntnisse, die sie liefern, sind nur dank eines der fortschrittlichen adaptiven Optiksysteme möglich, die am VLT der ESO in der chilenischen Atacama-Wüste eingesetzt werden. Die adaptive Optik hilft, Verzerrungen zu korrigieren, die durch die Erdatmosphäre verursacht werden und Objekte unscharf erscheinen lassen – derselbe Effekt, der von der Erde aus betrachtete Sterne zum Funkeln bringt. Dank dieser Korrekturen war SPHERE in der Lage, eine Abbildung von Kleopatra zu erstellen, obwohl das Objekt 200 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist – seine scheinbare Größe am Himmel entspricht der eines etwa 40 Kilometer entfernten Golfballs entspricht. SPHERE wurde von einem internationalen Konsortium konstruiert, an dem auf deutscher Seite das Max-Planck-Institut für Astronomie beteiligt ist.
Das derzeit im Bau befindliche Extremely Large Telescope (ELT) der ESO mit seinen fortschrittlichen adaptiven Optiksystemen wird ideal für die Abbildung entfernter Asteroiden wie Kleopatra sein. "Ich kann es kaum erwarten, das ELT auf Kleopatra zu richten, um zu sehen, ob es weitere Monde gibt, und um die Mondbahnen so genau zu vermessen, dass sich selbst kleine Veränderungen nachweisen lassen würden", fügt Marchis hinzu.
Originalbeiträge:
https://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso2113/eso2113a.pdf
https://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso2113/eso2113b.pdf