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Redaktion: Heinz Schmitz


Warum Menschen und Computer öfter vergessen sollten

Ingo Timm und Benjamin Weyers
Wie technische Lösungen beim Vergessen helfen und Teams aus Menschen und Computern durch Vergessen erfolgreicher sein können, erforschen die Trierer Informatiker Ingo Timm und Benjamin Weyers (v.l.). (Quelle: Universität Trier)

Wer sich nicht mehr an sein Passwort erinnert oder das wichtige Meeting mit einem Kunden verschwitzt hat, ärgert sich vermutlich über seine Vergesslichkeit. Doch Vergessen kann auch etwas Positives sein. „Man kann sich unser Gehirn wie eine Festplatte vorstellen“, erklärt Conny Antoni, Professor für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie der Universität Trier. „Die Speicherkapazität ist begrenzt. Unwichtigeres Wissen wird in schwerer erreichbaren Regionen abgelegt. Es wird vergessen, damit Neues gespeichert werden kann.“ Dieser Mechanismus ist unter anderem für alle wichtig, die in ihrem Beruf kreativ sein müssen. Schon seit 2016 beschäftigen sich Psychologen und Informatiker der Universität Trier, in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern anderer Hochschulen und Forschungseinrichtungen, in Projekten mit Vergessen im Arbeitsumfeld. Gefördert werden die Projekte von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Schwerpunktprogramm „Intentional Forgetting“. Nachdem in der ersten Phase Grundlagen erforscht wurden, werden die Ergebnisse jetzt in der Praxis überprüft und weiterentwickelt.

 

Neben dem menschlichen Vergessen geht es in den drei Projekten an der Universität Trier aber auch darum, wie Technologie vergessen kann beziehungsweise uns beim Vergessen unterstützen kann. „Bei Computern ist das mit dem Vergessen nicht ganz so einfach“, sagt Wirtschaftsinformatik- Professor Ingo Timm. „Wissen kann nicht ohne Weiteres gelöscht oder überschrieben werden, denn es kann sein, dass es später wieder abgerufen werden muss.“

 

Was das heißt, beschreibt Kognitionspsychologie-Professor Christian Frings für sein Projekt „Managed Forgetting“ anhand eines Beispiels, das jeder mit einem Bürojob kennt: Täglich kommen etliche E-Mails im Postfach an. Viele davon sind nicht lange von Bedeutung, weil sie beispielsweise nur ein „Vielen Dank für die Information“ enthalten. Neue Programme könnten zukünftig automatisch erkennen, welche Mails wichtig sind und welche nicht. So filtern sie unter anderem danach, wie häufig wir sie nochmals aufrufen oder ob der Anhang gespeichert wurde. Gelöscht werden die Mails von den Programmen jedoch nicht, sondern mehr oder weniger nur verschoben beziehungsweise eben vergessen. So ist sichergestellt, dass sie im Zweifelsfall wieder abgerufen werden können. „Uns geht es auch darum herauszufinden, wie die Programme konstruiert sein müssen, damit ihnen Beschäftigte vertrauen und sich guten Gewissens auf sie verlassen können“, sagt Frings. An dem Projekt sind auch Wissenschaftler des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, der Leibniz Universität Hannover und der PH Ludwigsburg beteiligt.

 

In ähnliche Richtung forschen die Psychologie-Professoren Thomas Ellwart und Conny Antoni sowie Wirtschaftsinformatik-Professor Ingo Timm im Projekt „AdaptPro“ (Adaptive Prozess- und Rollengestaltung in Organisationen). „Wir schauen uns nicht nur eine Person an, sondern Teams aus Menschen und Maschinen. Eine leitende Frage ist: Wie können Aufgaben optimal verteilt werden?“, sagt Ellwart und nennt das Beispiel einer Personalabteilung. Oft sind Abteilungen so organisiert, dass jeder alles macht: vom Urlaubsantrag über Stellenausschreibungen bis zur Entgeltabrechnung. Effizienter als dieses System von Generalisten sind meist Spezialisten. Das heißt, jeder macht nur eine Tätigkeit und kann sein Wissen über alle anderen Tätigkeiten vergessen. Während menschliche Mitarbeitende im Team beispielsweise im Krankheitsfall recht schnell ihr Wissen reaktivieren können, ist das für eine Künstliche Intelligenz, die eigentlich für eine andere Aufgabe eingesetzt wurde, nicht ganz so einfach. Durch Simulationen wollen die Forschenden herausfinden, wie solche Teams am besten aufgestellt sein müssen, um effizient und zur Zufriedenheit der Beschäftigten zu arbeiten.

 

Mit dem Vergessen unerwünschter Gewohnheiten im täglichen Büroleben beschäftigen sich der Trierer Informatik-Juniorprofessor Benjamin Weyers gemeinsam mit Forschenden der Universität Mannheim im Projekt iVAA (Intentionales Vergessen von Arbeitsverhalten im Alltag). Eine solche Gewohnheit kann sein, jede neu ankommende Mail sofort zu prüfen. „Was wir entwickeln wollen, könnte man als Fitness-Tracker fürs Büro bezeichnen. Sie sollen helfen, diese nicht gewollten Gewohnheiten abzulegen.“ Die Idee des Projekts: Ein Programm, Smart-Watches oder eine wechselnde Beleuchtung kann Mitarbeitende im Büro daran erinnern, dass sie sich vorgenommen haben, eine bestimmte Handlung nicht mehr auszuführen. Wie das Handling dieser technischen Unterstützer beim Vergessen gestaltet sein muss, erforscht Weyers im Projekt.

 

Am Ende der dreijährigen Projektlaufzeit hoffen die beteiligten Wissenschaftler konkrete Anwendungen entwickelt zu haben, die unseren Büroalltag erleichtern können.

 

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