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Redaktion: Heinz Schmitz


Zukunft der informationellen Selbstbestimmung

Auf der Konferenz „Die Zukunft der informationellen Selbstbestimmung“ in Berlin wurde diskutiert, welche Rolle Datenschutz in unserer Gesellschaft spielen soll und wie die informationelle Selbstbestimmung künftig funktionieren wird. Ausrichter der zweitägigen Veranstaltung ist das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte „Forum Privatheit – Selbstbestimmtes Leben in der Digitalen Welt“, in dem sich das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) aktiv beteiligt. Ein Punkt wiederholt sich in der Debatte: Wie steht es um die Datensparsamkeit? Datensparsamkeit bedeutet ein möglichst weitgehendes Vermeiden von personenbezogenen Daten bei der Verarbeitung und das Reduzieren dieser Daten auf den Umfang, der für den definierten Zweck wirklich erforderlich ist. Die jüngsten Verlautbarungen der Bundesregierung in der letzten Zeit, beispielsweise auf dem 9. IT-Gipfel, torpedieren die Datensparsamkeit. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichte Papier „Leitplanken Digitaler Souveränität“, teilweise wortgleich mit vorherigen Publikationen des Branchenverbands Bitkom, formuliert populistisch, dass „datenbasierte digitale Geschäftsmodelle nicht durch ein unzeitgemäßes Datensparsamkeitsdiktat verhindert werden“ dürften. „Datenvielfalt“ und „Datenreichtum“ sollten demnach die bisherigen Grundprinzipien „Datensparsamkeit“ und „Zweckbindung“ ergänzen und ersetzen. Seit einigen Wochen wird die Bundeskanzlerin zudem mit der Aussage zitiert, der Datenschutz dürfe nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung gewinnen.

 

Marit Hansen, Leiterin des ULD, kommentiert dies: „Die Bundesregierung mit Kanzlerin Angela Merkel und den Ministern Alexander Dobrindt und Sigmar Gabriel fährt einen unsachlichen Frontalangriff auf ein Kernprinzip des Datenschutzes in Deutschland und Europa. Es ist mit gutem Grund nicht zulässig, dass ein Unternehmen – oder auch der Staat – alle Daten über jeden Menschen auswertet. Wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont hat, dürfen lediglich die für den jeweiligen Zweck erforderlichen Daten verarbeitet werden – und nur aufgrund einer Rechtsgrundlage oder wenn eine wirksame Einwilligung vorliegt. Stets ist die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Wer dagegen ‚Datenreichtum‘ fordert, muss sich erklären: Wie kann das Risiko für die informationelle Selbstbestimmung eingedämmt werden? Was bedeutet dies für die Rechte der Betroffenen? Und wer profitiert von dem Reichtum?

 

Datensparsamkeit als primäres Gestaltungsziel spricht überhaupt nicht gegen eine digitale Souveränität – sowohl für den Staat als auch für seine Bürgerinnen und Bürger. Dagegen wäre ein erzwungener Datenabfluss ohne verfassungskonforme Rechtsgrundlage, wie ein ‚Datenreichtum‘ im Gegensatz zur Datensparsamkeit suggeriert, höchst problematisch für die Souveränität.

 

Das Prinzip der Datensparsamkeit gehört zu den Anforderungen des eingebauten Datenschutzes – Privacy by Design –, das künftig auch nach Ansicht des Europäischen Parlaments eine größere Rolle spielen soll als bisher und daher als Gestaltungsanforderung in der kommenden Datenschutz-Grundverordnung genannt werden wird. Schon seit Jahrzehnten werden datensparsame Lösungen entwickelt, die leider noch viel zu wenig den Weg in die Praxis gefunden haben. Deutsche und europäische Firmen, die solche datensparsamen Produkte und Verfahren anbieten, sollten bestärkt statt gehemmt werden. Undifferenzierte Stammtischparolen helfen nicht weiter, um in der Praxis zu bewerten, welches Wissen für verschiedene Wertschöpfungsmodelle und für den jeweiligen Zweck wirklich erforderlich ist, inwieweit dabei auf personenbezogene Daten verzichtet werden kann und wie clevere Lösungen aussehen, die sowohl datensparsam als auch fair gegenüber den Betroffenen sind.

 

Einen Satz in dem Dokument ‚Leitplanken Digitaler Souveränität‘ kann ich aber unterschreiben: ‚Die Förderung datenschutzfreundlicher

Anonymisierungs- und Pseudonymisierungstechnologien, Stärkung der Transparenzprinzipien und Verbesserung der Kontrolle und Sanktionsmechanismen bei Verstößen gegen Datenschutzrecht sind Wege zu einer innovativen Datenpolitik.‘ Hier handelt es sich nämlich nicht um das von der Bundesregierung neuerdings eingeforderte veränderte Verständnis von Datenschutz, sondern um ein logisches und sinnvolles Fortführen und Ausbauen des bisher Erreichten.

 

Big Data braucht Datenschutz-Leitplanken. Ganz deutlich: Für die Zukunft der informationellen Selbstbestimmung in einer immer weiter technisierten Welt sind Datensparsamkeit und Zweckbindung essentielle Eckpfeiler. Es geht darum, diese Prinzipien endlich von Anfang an effektiv einzubauen, statt unkontrollierbaren Datensilos in fremder Hand Vorschub zu leisten. Von der Politik erwarte ich Anreize für Privacy by Design statt Angriffe auf das Fundament des Datenschutzes.“

 

Siehe auch:

https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/IT-Gipfel/it-gipfel-2015-plattform-innovative-digitalisierung-wirtschaft-leitplanken-digitaler-souveraenitaet

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