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Redaktion: Heinz Schmitz


Wörterbücher müssen keine Bücher sein

Wörtebuch
Durch die Informationstechnik haben gedruckte Wörterbücher an Beduetung verloren. (Quelle: hiz)

Die Informationsverbreitung und -bereitstellung haben sich dank des Internet enorm gewandelt. Wozu sind heute Nachschlagewerke nötig, wenn sich die gewünschten Informationen in Sekundenschnelle googeln lassen? Fragen an Prof. Dr. Schierholz, Professor für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Lexikographie, zur Lage und Zukunft der Wörterbücher und der Lexikographie, also der Wissenschaft der Aufzeichnung und Erklärung des Wortschatzes in Form eines Wörterbuchs.

 

Warum brauchen wir angesichts der Informationen, die übers Internet verfügbar sind, überhaupt noch Wörterbücher?

Wörterbücher müssen keine Bücher sein, Wörterbücher sind Nachschlagewerke, die als Online-Informationssysteme oder – in bestimmten Gesellschaften immer seltener – als Print-Wörterbücher Daten vorhalten, denen wir als Benutzer Informationen entnehmen können. Global betrachtet gibt es viele Regionen ohne eine ausreichende Stromversorgung und dort etliche Situationen, in denen das Lernen nicht mit Benutzung des Internets, sondern nur mit Hilfe von Printerzeugnissen und damit auch von Printwörterbüchern möglich ist. In modernen Informationsgesellschaften hingegen werden wir mit Daten überflutet, oftmals mit beliebigen Daten, die nicht qualitativ geprüft sind, und bei denen man ohne ein grundlegendes Fachwissen nicht entscheiden kann, welche Daten die gestellte Suchfrage korrekt beantworten. Dazu gibt es bei Sprachfragen – vor allem im Prozess des Fremdsprachenlernens – zahlreiche Beispiele, aber auch bei Sachfragen, in denen man als durchschnittlicher Benutzer einer Flut nicht gewichteter Daten ausgesetzt ist.

 

Wie sehen Wörterbücher in Zukunft aus?

Wörterbücher der Zukunft sind lexikalische bzw. sprachliche Informationssysteme, die von Experten geprüfte Daten dauerhaft vorhalten, welche für die Benutzeranfragen passgenau präsentiert werden. In diesen Systemen werden die bestehenden lexikographischen Daten zusammengeführt und ist Mehrsprachigkeit verankert, so dass die Menschen bei Wissenslücken Antworten finden sowie im Schreib- und Formulierungsprozess von Texten unterstützt werden. Lexikalische Informationssysteme müssen zukünftig im öffentlichen Diskurs ein gewichtiges Thema werden. Das Bewusstsein für eine notwendig hohe Qualität des Online-Datenangebots muss in der Öffentlichkeit gefördert werden und die praktische Lexikographie muss sich stets ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.

 

Wie haben sich die Aufgaben eines Lexikographen in den vergangenen Jahren gewandelt?

Ein Lexikograph hatte und hat die Aufgabe, die wesentlichen Daten zu Sprachen und zu Sachen zusammenzustellen, damit Benutzer die wesentlichen Antworten auf die Suchfrage, welche einer Wissenslücke entsprungen ist, erhalten. „Wesentlich“ bedeutet, eine Verknüpfung zwischen automatisch erzeugten Corpusdaten, der Datenaufbereitung und der benutzeradäquaten Datenpräsentation zu schaffen. „Wesentlich“ bedeutet Redundanzvermeidung und die Schaffung einer verdichteten und qualitativ hochwertigen Informationsbasis, weil nur diese bei der Bewältigung der Anforderungen einer Informationsgesellschaft hilfreich sein kann. Die Bewältigung dieser Aufgaben erfordert eine gründliche Ausbildung, in der neben Kenntnissen in der Datenverarbeitung auch kulturhistorisches und gesellschaftspolitisches Wissen sowie vor allem die Strukturierungsfähigkeit komplexer Sachverhalte verlangt wird. Neu sind in diesem Aufgabenfeld die Datenverarbeitungskenntnisse, so dass wir heute immer seltener von „dem Lexikographen“, sondern eher von einem „Computerlexikographen“ oder einem „Datenmanager“ sprechen.

 

Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, um die Grundlagenforschung der Lexikographie in Zukunft weiter interessant zu machen?

Die Wörterbuchforschung (auch Metalexikographie) muss als eine Kulturwissenschaft verstanden werden, die die praktische Lexikographie, die Linguistik, die Informatik, die Buchwissenschaft und die Dokumentationswissenschaft in interdisziplinären Projekten zusammenführt.

 

Die wissenschaftliche Lexikographie soll vermehrt die Benutzerinnen und Benutzer sowie die Inhalte des Datenangebots im Auge haben, visuell kreativ sein, Experimente wagen und sich dabei das Interesse der Menschen an sprachlichen Fragen zunutze machen. Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen als unabhängige gesellschaftliche Institutionen müssen sich in die kritischen Diskussionen und Evaluationen lexikalischer Informationssysteme aktiv einbringen. Diese Institutionen müssen vor allem dafür sorgen, dass lexikographische Änderungen in Online- Informationssystemen dokumentiert und aufbewahrt werden, so dass sie dauerhaft als Belegdaten für den wissenschaftlichen Prozess zur Verfügung stehen.

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