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Redaktion: Heinz Schmitz


Wie das Leben laufen lernte

Ein Blick, weit zurück in der Zeit: Der Thüringer Wald im Perm, lange bevor die ersten Dinosaurier auf der Bildfläche erscheinen. Im Uferbereich eines Gewässers hinterlässt eine rund einen Meter lange Echse ihre Fußabdrücke. Und damit einen Schatz für die Wissenschaft. „Dass Fährten versteinern und sich über einen solch langen Zeitraum erhalten, ist an sich noch nichts Ungewöhnliches“, stellt der Zoologe und Evolutionsbiologe Dr. John A. Nyakatura fest. „Doch das wirklich Außergewöhnliche an dieser Spur ist: Wir können sie einem Skelettfund zuordnen. So wissen wir, wie jenes Tier aussah, das seine Fußabdrücke damals im Schlamm hinterließ.“

 

Heute, 300 Millionen Jahre später macht sich Dr. John A. Nyakatura mit einem Team junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern daran, das Bewegungsprinzip von Orobates pabsti, so der lateinische Name der Echse, zu entschlüsseln. „Mithilfe eines biometrischen Roboters können wir die Fortbewegung dieses Schlüsselfossils rekonstruieren. Die Verwendung einer neuartigen Laufmaschine liefert uns dabei nicht nur Erkenntnisse über das untersuchte Exemplar, sondern wir können aus unseren Forschungen auch allgemeingültige Prinzipien zur Evolution der Bewegung bei Landwirbeltieren ableiten.“

 

Ein Schlüsselfossil ist die thüringische Echse deshalb, weil sie noch vor der stammesgeschichtlichen Abzweigung von Dinosauriern, Schlangen, Schildkröten und Synapsiden (woraus sich schließlich die Säugetiere entwickelten) steht. Bislang diagnostizierten Paläontologen anhand von erkennbaren Muskelansatzstellen an Skeletten oder den Proportionen von Extremitäten ausgestorbener Tierarten, wie diese sich fortbewegten. Doch derartige Einschätzungen besaßen oft subjektiven Charakter und waren durch Vorannahmen beeinflusst. Nyakaturas Team hingegen integriert bei seiner aktuellen Untersuchung mehrere neuartige methodische Ansätze. Zunächst unterziehen die Jenaer Forscher verschiedene heute lebende Tiere einer eingehenden Bewegungsanalyse. Mit Hilfe einer europaweit einzigartigen digitalen Hochgeschwindigkeits-Röntgenanlage am Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Universität Jena werden dabei feinste skelettale Bewegungen sichtbar gemacht, die sonst unter Haut und Muskeln verborgen bleiben.

 

Sehr genau untersucht wurden etwa die motorischen Fähigkeiten eines Rippenmolchweibchens der Gattung Pleurodeles waltl („Lotte“ lebt im Aquarium des Instituts und begleitet das Forschungsprojekt von Beginn an). Ihr Bewegungsmuster kann der Salamander-Roboter „Pleurobot“ bereits exakt imitieren. Entwickelt wurde „Pleurobot“ von Dr. Konstantinos Karakasiliotis im BioRob Labor der École Polytechnique Fédéral in Lausanne. Nyakatura betont: „Mit den Mitteln, die mir durch das Stipendium der Daimler und Benz Stiftung zur Verfügung stehen, entwickeln wir nun gemeinsam mit unserem Schweizer Kollegen einen neuen Roboter, der exakt die Spuren erzeugt, die auch Orobates vor 300 Millionen hinterließ. Wir können so durch gezielte experimentelle Veränderungen am neuen Orobates- Roboter Kenntnisse darüber erlangen, welche Bewegungen der Echse überhaupt tatsächlich möglich waren – und welche nicht. Und es lassen sich diejenigen Kräfte messen, die beim Gehen auf den Untergrund übertragen wurden und Drehmomente berechnen, die in den Gelenken wirksam waren. Unser Ziel ist es, den ständigen und bis heute andauernden Wandel des Lebens nachvollziehbar zu machen.“

 

Durch diese neue interdisziplinäre Kombination verschiedener wissenschaftlichen Methoden sowie durch die exakte Wiederholbarkeit und Abwandlung der Experimente beim den Einsatz des neuen Roboters sind künftig Form- Funktions-Zusammenhänge erkennbar, wie sie allein bei der Untersuchung von Skeletten ausgestorbener Tierarten bislang nicht möglich waren.

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