Nachrichten, Gerüchte, Meldungen und Berichte aus der IT-Szene

Redaktion: Heinz Schmitz


Fahren wie von Geisterhand

Ohne Fahrer, aber vollkommen souverän biegt das Auto vom Berliner Ring in die Albert-Einstein-Allee. Das autonome Fahrzeug passiert den Kreisel beim Daimler-Forschungszentrum, bremst an den Bushaltestellen sowie am Zebrastreifen aus Rücksicht auf Fußgänger ab und steuert in Richtung Chirurgie. Hier soll das „Roboter-Taxi“ einen Patienten abholen, der es für Punkt 11:30 Uhr angefordert hat. Es hat also noch genügend Zeit, um einen Halteplatz zu suchen und wie von Geisterhand gesteuert einzuparken. „Autonomes Fahren, bei dem das Auto in jeder erdenklichen Situation eigenständig agiert, ist noch Zukunftsmusik. Aber schon jetzt funktioniert, hochautomatisiertes‘ Fahren bei Teilmanövern und in einfachen, gut strukturierten Umgebungen. In der nächsten Fahrzeuggeneration werden bereits Serienfahrzeuge automatisiert über ausgewählte Autobahnabschnitte rollen und auf Privatgeländen automatisch einparken können“, sagt Professor Klaus Dietmayer, Leiter des Instituts Mess-, Regel- und Mikrotechnik an der Universität Ulm.

 

An der Vision vom führerlosen Fahren arbeiten Ingenieure und Informatiker um Dietmayer seit über zehn Jahren. Zum aktuellen Kernteam des automatisierten Fahrens der Universität Ulm gehören die Wissenschaftlichen Mitarbeiter Jürgen Wiest, Dominik Nuss und Felix Kunz – aber auch weitere fünf Doktoranden sowie exzellente Masterstudenten haben bereits Ideen und Softwaremodule beigesteuert. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf dem besonders herausfordernden innerstädtischen Verkehr, in dem sich Fahrzeuge und Fußgänger auf engem Raum und in einer teils unübersichtlichen Umgebung bewegen. In den Forschungsabteilungen der Automobilindustrie wird hingegen eher zum automatisierten Fahren in einfachen Umgebungen geforscht – zum Beispiel auf Autobahnen.

 

Seit einigen Monaten führen die Ulmer Wissenschaftler dank einer Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums automatische Testfahrten im Bereich Berliner Ring/Albert-Einstein-Allee durch. Ausgestattet mit Radar- und Lasersensoren sowie Kameras erfasst die aufgerüstete Mercedes- Limousine ihre Umgebung. Auf Basis dieser Daten planen in das Auto integrierte Rechner sinnvolle Aktionen. Bevor die Mini-Computer jedoch Lenkung, Gaspedal und Bremse ansteuern können, wird der Fahrzeugzustand von weiteren Rechnern überprüft. Passiert trotzdem ein Fehler, kann ein geschulter Sicherheitsfahrer die Automation jederzeit übersteuern und so die Kontrolle übernehmen. Dieses aufwändige Sicherheitskonzept ist zusammen mit dem TÜV-Süd entwickelt worden. Bisher wurden mehr als 100 Erprobungsfahrten ohne Zwischenfälle absolviert

 

Im Gegensatz zu den selbststeuernden „Google-Cars“, die zum Beispiel durch spezielle „Dachsensoren“ auffallen, setzen die Ulmer Forscher in ihrem Testfahrzeug ausschließlich seriennahe Sensorik ein. Die Probestrecke rund um die Universität Ulm haben sie vor den Testfahrten ganz genau und mit allen Markierungen kartiert. Denn bisher funktioniert führerloses Fahren nur in „bekannten“ Umgebungen. Das aufgerüstete Fahrzeug, das seine Geschwindigkeit selbstständig regulieren und ohne Fahrer die Spur halten kann, muss nämlich genau „wissen“, wie die Strecke verläuft. „Auf dem Weg vom hochautomatisierten zum autonomen Fahren sind wir erneut ein Stück weitergekommen. Neben dem Komfortgewinn ist die Vermeidung von Unfällen unser oberstes Forschungsziel“, so Dietmayer. Erst wenn sich eine deutlich geringere Unfallzahl im Vergleich mit manuell gesteuerten Autos nachweisen lasse, werde automatisiertes Fahren in der Gesellschaft akzeptiert.

 

Bis das Auto, das vollkommen selbstständig durch den innerstädtischen Verkehr steuert, serienreif ist, muss noch viel geforscht werden. Anwendungsmöglichkeiten wären in jedem Fall vielfältig: So könnten Teile des öffentlichen Nahverkehres durch autonome Fahrzeuge ersetzt werden. Fahrgäste müssten also nicht mehr auf den Bus warten, sondern könnten ein selbststeuerndes Taxi anfordern, das sie zum Zielort bringt und sich dann alleine einen Parkplatz sucht. Dies würde auch zur verbesserten Mobilität von Personen ohne Führerschein, also etwa Schulkindern oder Senioren, beitragen. Autonome Fahrzeuge, die untereinander kommunizieren, könnten auch den Verkehrsfluss optimieren. Es wäre sogar denkbar, bestimmte Routen für diese Autos zu reservieren, um so sicheres, staufreies Fahren zu gewährleisten. Zur Realisierung dieser Vision will das Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik mit seiner Forschungsinitiative in den nächsten Jahren maßgeblich beitragen.

Zurück